artgerechte Disziplinierung
wissenschaftlicher Hintergrund

Vieles was man heute noch an Starkzwangmethoden und Folterinstrumenten findet
hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Rittmeister Max Emil Friedrich von Stephanitz
begann um 1899 das Deutsche Schäferhundwesen zu organisieren und verfasste das
Standardwerk "Der deutsche Schäferhund in Wort und Bild". Der nachfolgende
Ausschnitt ist aus der etwa 90 Jahre alten 6. Auflage entnommen:

Starkzwang war über viele Jahrzehnte fester Bestandteil der Hundeerziehung. In den 70ern war
zwar die Peitsche nicht mehr gebräuchlich, dennoch orientierte man
sich oftmals an der althergebrachten Sichtweise unter Anwendung eines Stachelhalsbandes
oder Endloskettenwürgers und Disziplinierung mittels Nackenfellschüttelns. Auch heute gibt es noch Hundetrainer, die
Nackenfellschütteln als Disziplinierung unter
Berufung auf Herrn Eberhard Trumler
gutheißen. Die von Herrn Trumler beschriebene Art der Disziplinierung, Zitat:
"Wir müssen abermals zur Tat schreiten, aber diesmal begnügen wir uns nicht
mehr mit Nackengriff und Schütteln, sondern jetzt heben wir den Missetäter am
Nackenfell hoch und schütteln ihn fest durch, oder wir fassen ihn am Nackenfell
und am Fell der Kruppe gleichzeitig und heben ihn hoch."
(Eberhard Trumler: Mit dem Hund auf Du 10. Aufl. S. 159 München 2003)
wird von uns nicht als artgerechte Disziplinierung gesehen, da nach unseren Erkenntnissen ein
Schütteln im Nackenfell als Disziplinierung in Wildcanidenrudeln oder auch in
Haushundgruppen nicht gezeigt wird! Unsere langjährigen Beobachtungen an Wölfen im Nationalpark Bayerischer Wald und
an den Caniden an der Trumlerstation sowie Gespräche mit renommierten Zoologen
und Biologen bestätigen die Richtigkeit unserer Sichtweise.
Bezüglich der artgerechten Disziplinierung haben wir mit dem Dipl.-Biologen
Herrn Joachim Leidhold und Herrn Dr. Frank G. Wörner (ehemaliger
wissenschaftlicher Leiter der Trumlerstation) Gespräche geführt. Herr Trumler
hat damals vielleicht etwas nicht ganz richtig beobachtet, daher sicherlich die
heute noch praktizierenden Nachplapperer in Bezug auf Nackenfellschütteln -
hierüber haben wir mit seiner Frau in 2005 Gespräche geführt. Mal abgesehen von
dem Irrtum mit dem Nackenfellschütteln ist Eberhard Trumler
auch unser großes Vorbild und wir empfehlen mit dieser kleinen Korrektur bis heute seine Standardwerke,
da seine Feststellungen
grundsätzlich heute noch gültig sind und seine Literatur im Gegensatz manchen
teilweisen Abklatsches der jüngsten Vergangenheit logisch und nachvollziehbar
aufgebaut ist.
Wir gehen wohl mit Frau Dr. Feddersen-Petersen konform, wenn wir sagen, dass
es nicht richtig ist, wenn zur Disziplinierung durch den Menschen der Hund im
Nackenfell geschüttelt wird, Zitat:
"Eine Zurechtweisung durch Nackenfellschütteln ist ein tradiertes
Märchen"
(Dr. Feddersen-Petersen Dorit: [i]Hundepsychologie[/i] 4. Aufl. S 233
Stuttgart 2004)
Auch wenn dieses tradierte Märchen auch heute noch von "Hundegurus" mit einem
Hinweis auf Eberhard Trumler nachgebetet wird, ein Nackenfellschütteln kommt im Wildcanidenleben, wie auch bei unseren Haushunden nicht zur Einforderung von
submissivem Verhalten vor. Wir sehen uns immer wieder mit Aussagen
konfrontiert, man habe dieses Beißschütteln von Artgenossen selber bei anderen
oder gar eigenen Hunden gesehen. Nun, - dies kommt tatsächlich vor, - z.B.
im "Spiel" oder bei extrem verhaltensgestörten Hunden. Aber dabei fällt
uns
schon gleich der nächste "Hundeguru" mit erhobenen Zeigefinger ein, der allen
Ernstes jahrelang die These aufstellte: "Hunde spielen nicht". Auweia, ist unsere sehr
verspielte mittlerweile 20jährige Deutsche Jagdterrierhündin seiner Ansicht nach verhaltensgestört, muß man sich da
fragen. Mittlerweile ist der Kollege hinsichtlich des Spielverhaltens von Hunden
glauben wir bekehrt.
Caniden spielen von jung bis alt! Es umfaßt so viele Handlungsvariationen wie
sonst keine Verhaltensweise und es kann Elemente aus allen übrigen
Verhaltensweisen, so auch aus dem Formenkreis des Beutegreifens enthalten.
Daher ist ein (unseres Erachtens selten zu beobachtendes) Beißschütteln an
"Spielkameraden" leicht erklärt: Im Spiel fehlt der Ernstbezug und
der Geschüttelte ist mehr oder weniger freiwillig gerade das Opfer. Es werden
die Handlungsketten nicht von Anfang bis Ende durchgespielt. So werden
beispielsweise Kehlbisse angesetzt, wo kein Tropfen Blut fließt.
Im tatsächlichen Beutegreifen (unsere Hunde greifen sich täglich ihre Ration
Josera) ist das sogenannte Beißschütteln als mechanische Tätigkeit beim
Nahrungszerkleinern zu beobachten. Bei Kleintieren vermeint man ein
Totschütteln zu deuten, welches jedoch nicht zutreffend ist. Der
Todeseintritt ist hier eher als unvermeidliche aber natürliche Nebenerscheinung des
Verzehrens zu sehen.
Um es noch einmal deutlich klarzustellen: Allenfalls im Welpenspiel kann man
gelegentlich diese Sequenz aus dem Funktionskreis des Beutefangverhaltens
beobachteten, dass ein „Opfer“ im Nackenfell geschüttelt wird. Der Welpe hat in
diesem Fall jedoch keine Angst davor „totgeschüttelt“ zu werden!
Dies ist lt. Frau Dr. Feddersen-Petersen ein neues Märchen geworden,
welches eifrig tradiert wird, Zitat:
"Welpen, die am Nackenfell geschüttelt werden, sind sich der vermeintlichen
Tötungsabsicht des Menschen bewusst. Sie wissen, dass Nackenschütteln den Tod
bedeutet. Das glaube ich nicht, wie sollten sie? Ist dieses Wissen genetisch
determiniert? Gibt es Fressfeinde, die Wölfe und Hunde totschütteln? Wohl kaum.
Dennoch ist vorstellbar, dass ein kräftig geschütteltes Malteser-Hündchen vor
Angst »gebeutelt« wird. Die Angst rührt jedoch nicht vom vermeintlichen Wissen
um den Zweck des Schüttelns ..."
(Dr. Feddersen-Petersen Dorit: Hundepsychologie 4. Aufl. S. 234 Stuttgart 2004)
... sondern kommt aus der Unverständlichkeit unseres Handelns für den Hund,
meinen wir. Er versteht's nicht und zeigt sich verunsichert. Es handelt sich
dabei einfach um einen Kommunikationsfehler von Menschen, die vielleicht meinen
"hündisch" zu kommunizieren. Daher lehnen wir, wie auch Frau Dr.
Feddersen-Petersen eine Zurechtweisung durch Nackenfellschütteln als tradiertes
Märchen ab. Wir praktizieren kein Nackenfellschütteln.
Mit dem Schnauzengriff verhält es sich ähnlich, - noch heute werden Hunde im
Zuge der Erziehung über die Schnauze gegriffen und die Lefzen schmerzhaft
zwischen die Zähne gedrückt. Dies ist in der häufig
beschriebenen und nachgeplapperten Ausführung, Zitat:
"Bei korrekter Anwendung des Schnauzgriffs werden die Lefzen mittels Daumen
und Mittelfinger hinter die Fangzähne des Hundes gedrückt."
(Günther Bloch: Der Wolf im Hundepelz 6. Aufl. S. 113 Berlin 1998)
auch nicht artgerecht und wird von uns abgelehnt! Caniden zeigen in einem sehr
variablen Bereich bald zeremonienhaft liebkosende Schnauzenzärtlichkeiten, in
welche durchaus Sanktionen eingekleidet werden können jedoch i.d.R. liebkosend
beendet werden. Ein Schnauzengriff durch uns Menschen wäre demzufolge eine
unvollendete Schnauzenzärtlichkeit!
Diese beiden Formen „falscher Disziplinierung“ werden im Hundeerziehungswesen
anscheinend nur allzugern tradiert. Sie beruhen unseres Erachtens schlicht und
einfach auf falsche Beobachtungen, denn sie kommen nach unseren Erkenntnissen im
Wildcanidenleben wie auch bei unseren Haushunden nicht zur Verhaltensbestimmung
vor. Es wird höchste Zeit, dass diese
Schauergeschichten aus dem Hundeerziehungswesen verschwinden. Daher werden wir
ohne Unterlass wohl auch die nächste Zeit noch Missionarsarbeit leisten dürfen,
mag heißen dieses Thema in Internetforen, unseren Seminaren und Publikationen
immer wieder aufgreifen.
Mag sein, dass nicht zuletzt unser jahrelanges Wettern gegen
Nackenfellschütteln und dem Schnauzengriff Veränderungen im Bewußtsein um den
artgerechten Umgang mit dem Hund herbeigeführt haben. Wir sind überzeugt, dass
diese Handlungsweise in Zukunft auch von den Leuten übernommen wird, die heute
noch Nackenfellschütteln oder über die Schnauze greifen!
Es ist wichtig, dass nach unserer Philosophie der Hundeerziehung ein vom Hund
gefordertes Handeln konsequent durchgesetzt werden muß. Konsequent durchsetzen
heißt aber nicht, dass ich meinen Hund im Nacken schütteln muß! Also wenn man
seinen Hund notwendigerweise gelegentlich artgerecht maßregelt ist daran nichts
verwerflich. Wir haben unsere Art der Disziplinierung aus dem Canidenleben
entlehnt. Da läuft in der Kommunikation vieles schon vorher auf psychischer
Ebene (Drohfixieren, Brummeln usw.) fein nuanciert ab. Man kann vieles beim Hund
über Stimmmodulation regeln um bestimmtes Verhalten zu initiieren oder
abzubrechen. In der Kommunikation mit dem Hund gibt es nonverbale Lautäußerungen
und körpersprachliche Ausdrücke (Stichwort Anspannung/Entspannung alleine schon
meiner Gesichtszüge) die einen Hund veranlassen ein gewünschtes Tun zu zeigen
oder eine unerwünschte Handlung zu unterlassen. Eine Disziplinierung folgt wie
bei den Caniden auch in einer sich steigernden Kette, so dass es nur selten wenn
überhaupt zu einer Maßregelung zum Beispiel in Form eines imitierten Bisses
kommt. Dies hat mit Nackenfellschütteln oder Schnauzengriff nichts zu tun und
ist mit einer Disziplinierung der Caniden untereinander in Form von zur Seite
wegschleudern oder auf dem Boden drücken (pinnen) zu vergleichen.
Weil unsere praktizierte Art der Disziplinierung dem natürlichen Verhalten der Caniden untereinander entlehnt
ist wird es vom Hund verstanden. Ein
artgerecht disziplinierter Hund zeigt dadurch eben nicht ein von vielen gefürchtetes Meideverhalten oder Entzug des
Vertrauens. Ein Hund im richtigen Moment diszipliniert hat uns genauso
"lieb" wie vorher mit dem Unterschied, dass er erkennt, dass wir die
Führungsrolle beanspruchen und uns nicht manipulieren lassen. In der Regel
befleißigt sich der "Kleine" uns die Sache recht machen zu wollen und trappelt
uns hinterher.
Die meisten unserer Klienten berichten davon, dass sie auch Monate nachdem
wir uns kennenlernten und sie nach dem Rudelordnungsprinzip leben ihren Hund
nicht (mehr) disziplinieren brauchten. Das rührt einfach daher, dass sich das
geistige Band zwischen Frauchen/Herrchen und Hund durch den wohlwollenden aber
konsequenten Umgang miteinander soweit gefestigt hat, dass der Hund sein
Frauchen/Herrchen zuverlässig einschätzen kann und in Achtung deren Autorität
"Unanständigkeiten" einfach sein läßt. Er möchte unsere "Gute Beziehung zum
Hund" nicht belasten.
Ein "auf den Rückenwerfen" bzw. "Umschmeißen" und im Halsbereich fixieren wäre
i.d.R. immer deutlich überzogen und wäre nur in ganz seltenen Fällen bei einer
offenen Auflehnung notwendig. Es gibt da noch einige indirekte Varianten im
Umgang mit Hunden die zu offener Aggression im Sinne von Beißen neigen.
Mehr dazu in unserem erscheinenden
Buch und natürlich in unseren
Wochenendseminaren oder individuellem
Hundetraining für Ortsansässige bzw. Tagesanreisende.
